Suh Sung
Vom 18. Januar bis zum 1. Februar 2015 fand in einer kleinen Galerie in Tokio ›Eine Ausstellung zur Unfreiheit des Ausdrucks – das Ausgelöschte‹ statt. Dort wurden Werke ausgestellt, die sonst aufgrund ihrer Motive nicht öffentlich gezeigt werden konnten: ihre Themen waren etwa ›Der Tenno und seine Kriege‹, ›Kolonialherrschaft‹, ›Trostfrauen – die Sexsklavinnen des japanischen Militärs im Zweiten Weltkrieg‹, ›Yasukuni-Schrein‹, ›Kritik am Staat‹, ›Der Artikel 9 der Verfassung‹ sowie ›Sexuelle Darstellung‹. Begleitende Podiumsdiskussionen fanden dazu statt. Es bedeutete einen großen Fortschritt für die japanische Gesellschaft, die noch immer mit sich kämpft, wenn es um die Darstellung solcher Themen geht. Da die Meinungs- und Ausdrucksfreiheit in der japanischen Verfassung garantiert wird, kann die Staatsgewalt Werke von Künstler_innen nicht problemlos verbieten. Aber noch immer gelingt es Politik und Medien, unterstützt von Marktmechanismen und einer weit verbreiteten militaristischen Gesinnung, ein Klima zu erzeugen, in dem gesellschaftliche Verbote wirksam bleiben.
Das Tabu Kiku, »Chrysantheme«, steht für das absolute und unausgesprochene Verbot jeglicher Kritik am Kaiser (das Siegel der Kaiserfamilie zeigt eine stilisierte Chrysantheme). Wer ihm zuwiderhandelt, wird manchmal sogar tätlich angegriffen, wie etwa zwei Bürgermeister von Nagasaki, auf die Anschläge verübt wurden1. Aber auch wer Themen wie den Yasukuni-Schrein berührt, der wie ein mehrdeutiges Mal – Schandmal, Ehrenmal, Mahnmal – Japans Verhältnis zum Militarismus zeigt oder die Gräueltaten der kaiserlichen Armee wie die sexuelle Sklaverei der sogenannten ›Trostfrauen‹ und das Massaker in Nanjing wahrheitsgetreu darstellt, wird schnell zum Objekt von Einschüchterung und Erpressung durch Nationalisten.
Der Yasukuni-Schrein ist der Kern der kriegerischen Symbolik des Tenno-Systems. Die für den Kaiser gefallenen Soldaten werden hier als kami, ehrfurchtgebietende geistige Wesen, geehrt. Dieser Kult diente von Beginn an auch der Erziehung der Japaner zu Soldaten, den Tod auf dem Schlachtfeld nicht zu fürchten. Im Militärmuseum Yushukan, das dem Yasukuni-Schrein zugeordnet ist, werden Japans Angriffskriege 1937-45 als Kriege für die Selbsterhaltung und -verteidigung der Nation und für die Gerechtigkeit beschönigt. Offiziell ist der Schrein eine staatlich anerkannte unabhängige Religionsgemeinschaft des Shintoismus, dessen Oberhaupt der Tenno ist, tatsächlich aber wird er aus den Mitteln des Militärs finanziert und ein General der Land- oder Luftstreitkräfte hält die Stelle des Erzpriesters inne. Daher wurde der Besuch des Yasukuni-Schreins durch Premierminister Abe (Dezember 2013) als Symbol für Ambitionen einer »Auferstehung des Großen Japanischen Kaiserreichs« interpretiert.
2006 begann in verschiedenen Regionen Ostasiens erstmalig eine gemeinsame Aktion »Licht des Friedens! Gegen die Dunkelheit Yasukunis!«. Diese Aktion fand danach jährlich im August in ganz Ostasien statt. Allerdings stellen seit etwa drei oder vier Jahren weder Universitäten noch Vereine der Aktionsgruppe ihre Säle zur Verfügung, sodass heute einzig die koreanische YMCA noch ihre Räume anbietet, da sie weder von amtlichen noch von privaten Institutionen Japans unter Druck gesetzt werden kann.
Hong Sung-dams Ausstellung ›YASUKUNISUM in Ostasien‹ wurde am ursprünglich geplanten Ausstellungsort abgelehnt, und konnte nach mühevollen Vorbereitungen nur in einem Theater in Tokios Außenbezirken gezeigt werden. Als am 13. August 2014 die neunte Demonstration der Aktion »Licht des Friedens!« stattfand, wurde sie von Ultrarechten umzingelt und mit hemmungslosen Beschimpfungen über Megaphon attackiert. Die Angreifer konnten sogar zwei Mal die Absperrungen der Polizei durchbrechen und mit Kraftfahrzeugen drohend auf die Demonstranten zufahren. [...]
Das Wort ›Verbotene Bilder‹ erinnert mich an ein historisches Ereignis: die Bilder, die den Wertmaßstäben der Nazis nicht entsprachen, wurden als ›entartete Kunst‹ abgestempelt und zur Schau gestellt. Seit einigen Jahren erobert die ›Liberale Demokratie‹, deren Name ermutigend klingt, die ganze Welt, auch Ostasien. Aber in Südkorea wurde im Januar 2015 die ›Vereinigte Progressive Partei‹ vom Verfassungsgericht aufgrund angeblicher ›Anstiftung zur inneren Unruhe‹ aufgelöst; ein skandalöses Urteil, mit dem das höchste Gericht, das die Verfassung schützen soll, das Prinzip der ›Herrschaft des Gesetzes‹ unterminiert hat. Die alltäglichen Formen staatlicher Unterdrückung der Meinungsfreiheit werden selten so deutlich sichtbar und die Mehrheit der Bevölkerung nimmt nicht wahr, wenn die Meinungsfreiheit gravierend eingeschränkt wird. Die manchmal hetzerische Manipulation durch die großen Medien, die stille Nötigung durch die Etat-Entscheidungen der Verwaltungsbehörden, die demütige Selbstzensur der Kunstmuseen und der Kunstbranche, auch die stumme ›Logik‹ des Kunstmarkts – dies alles trägt zur Verdrängung oder Unterdrückung wacher künstlerischer Geister bei.
Hong Sung-dam zeigte während des letzten Präsidentschaftswahlkampfes das Bild ›Golden Time‹ (2012), auf dem die damals Kandidierende Park Geun-hye ihren Vater, den früheren Militärdiktator Park Chung-hee, zur Welt bringt. Als eine Art Vorwarnung, das schreckliche Zeitalter der Yushin-Reform (1971) könne wiederkehren, wenn Park Geun-hye als Präsidentin gewählt werde, löste großen Streit aus. Nicht nur das konservative Lager, auch Feministinnen zeigten sich empört; wenn sie auch nur das Bild des ›heiligen‹ Geburtsakts als erniedrigend empfanden. Die Staatsanwaltschaft erwog Hong Sung-dam wegen Beleidigung Park Geun-hyes anzuklagen, zog aber schließlich die vorbereitete Anklageschrift zurück. Sie schien erkannt zu haben, dass eine Anklage Hong Sung-dams, der als Minjung-Künstler internationales Ansehen genießt, weltweit als öffentlicher Angriff auf die Ausdrucksfreiheit wahrgenommen werden würde.
Im September 2013 fand in Taipeh eine Veranstaltung zur Erinnerung an den Holzschneider Huang Jung-tsan statt, der 1951 unter Chiang Kai-shek ermordet worden war. Hier wurden unter anderem auch Hong Sung-dams ›Gravur vom Mai‹ (Owol Panhoa) und Wang Mo-lins ›Antigone‹ gezeigt, die mit dem Leitmotiv Gwangju das Problem der staatlichen Gewalt in Ostasien exponierten.
Taiwan allerdings kann, seit es nach 37 Jahren Ausnahmezustand ab 1987 eine Entwicklung zur Demokratie durchlief, als das freieste Land Ostasiens bezeichnet werden. Selbst das Verhältnis zu Festlandchina ist heute so eng und frei, dass manche sagen, beide Länder seien ›so gut wie vereinigt‹. Im April 2013 urteilte Präsident Ma Ying Jeou, dass ›die beiden Meeresufer zwischen China und Taiwan nie zuvor wie in den letzten 60 Jahren so friedliche Verhältnisse gehabt hätten wie jetzt‹. Mit einem ›Rahmenabkommen über Wirtschaftliche Zusammenarbeit (Economic Cooperation Framework Agreement)‹ ist eine Vereinbarung in 21 Artikeln – unter anderem zu Seeverkehr, Lebensmittelsicherheit und Postdienst – unterzeichnet worden. Zwischen den Küsten beider Länder verkehren täglich 118 Linienverkehrsschiffe und die Anzahl der Studenten, die aus China nach Taiwan gehen, stieg von 800 im Jahr 2007 auf 25.000 im Jahr 2014. Die Anzahl der Touristen aus China ist im selben Zeitraum von 200.000 auf 2,85 Millionen gestiegen. Zwar protestierten am 18. März 2014 Studierende gegen das Vorhaben der Nationalen Volkspartei, in der Ständigen Kommission das Freie Handelsabkommen mit China (Cross-Strait Service Trade Agreement) mit einer Blitz-Abstimmung zu verabschieden und besetzten den Plenarsaal des Parlaments. Erst nachdem Parlamentspräsident Wang Jin Pyng versichert hatte, dass auch dieser Gesetzentwurf im Parlament ordentlich geprüft werde, beendeten die Studierenden ihre Aktion 24 Tage später. Aber faktisch besitzt das Abkommen für die Mehrheit der Taiwanesen Vorteile und die Aufruhr des Protestes kann kaum anders als mit bestimmten fest verwurzelten Vorurteilen bei vielen taiwanesischen Studierenden und anderen Bürger_innen erklärt werden. Wang Mo-Lin, erklärte, dass auch im politisch liberalisierten Taiwan ›der Belagerungszustand des Geistes noch nicht verschwunden‹ sei. Der über 37 Jahre dauernde Ausnahmezustand habe die Legitimität der Herrschaft Chiang Kai Sheks, die Ideologien des Kalten Krieges, den Glauben an die Selbstverständlichkeit der US-amerikanischen Vorherrschaft in Ostasien und allgemein‚ antikommunistische, antichinesische, proamerikanische und projapanische Orientierungen tief ins Bewusstsein der Taiwanesen einverwoben.
Taiwans Kunst ist, dem Geschmack einer ›liberalen Demokratie‹ entsprechend, vielfältig und freizügig. Es ist aber zu bezweifeln, dass die Mehrheit der Künstler_innen ein tieferes Verständnis davon hat und welche geschichtlichen Erfahrungen im politischen und geistigen Leben der Nation unterschwellig fortwirken. Aber Ähnliches wäre auch über die Kunstszene Südkoreas und Japans zu sagen. In Südkorea haben pro-japanische Sentiments noch immer große Wirkung; die Wahl Park Geun-hyes zur Präsidentin ist ein Zeichen dafür. Es ist eine schwierige Herausforderung, in diesem Klima die koloniale Vergangenheit aufzuarbeiten und die Prägungen der Militärdiktatur zu überwinden. In der japanischen Gesellschaft wirkt trotz des Bruches von 1945 die seit der Meiji-Restauration entstandene Tradition des militaristischen ›Tenno-Systems‹ kontinuierlich fort und fördert Selbstentmächtigung, Selbstzensur und die Tabuisierung brisanter politischer und historischer Erfahrungen.
Dies alles wird heute von weltweiten Tendenzen der Entwicklung einer Art »Postdemokratie« überlagert, in dem das neoliberale Primat ökonomischer Logik die Entwicklung des Selbstverständnisses und der Fähigkeiten zur Selbstregierung deformiert. Die Rolle der Kunst in solch einer Zeit wird es sein, komplexe und verborgene Machtverhältnisse und die immer mögliche Verführung zur Selbsttäuschung aufzudecken, und die Gegner von Selbstbestimmung, Ausdrucksfreiheit und kooperativer Zivilität uns gegenüber, aber auch in uns selbst zu identifizieren. In Ostasien herrschte nach dem Opiumkrieg der europäische Imperialismus. Der japanische Imperialismus ahmte ihn nach, als er Nachbarländer unterwarf und dominierte. Die USA übernahmen die Vorherrschaft, wenn auch auf indirekte und weit subtilere Weise. Dennoch können wir nur dann die wahre Freiheit in Ostasien gewinnen, wenn auch die US-amerikanische Dominanz des politischen, intellektuellen und kulturellen Lebens aufgehoben wird.
Kunstwerke zu verbieten, aus der Wahrnehmung zu verdrängen oder den Umgang mit ihnen zu unterdrücken, kann ziviles Selbstbewusstsein und sichere Selbstbestimmung nicht fördern. ›Verbotene Bilder‹ werden sich immer im ›Jenseits des Schweigens‹ des Minjung (der Volksmasse) befinden. Dort aber lauert Yasukuni.
Übersetzt von Eun-Ju Oh und überarbeitet von Han Nataly Jung-Hwa
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Am 17. April 2007 wurde Bürgermeister Iito von einem Mitglied der Yamakuchi-Kumi Yakuzagruppe erschossen. Nachdem Bürgermeister Motoshima Hitoshi besagte, dass »der Tenno auch für Kriege verantwortlich sei«, wurde er am 18. Januar 1990 von einem Mitglied einer ultrarechten Organisation angeschossen und schwer verletzt.
In meinen neuesten Arbeiten in digitaler Bildsynthese findet man eine Symbiose der virtuellen Realität des Rollenspiels mit disparaten Kombinationen ungleichartiger Gegenstände, Kostümierung und Inszenierung, die eine imaginäre Reise durch Zeit und Raum erzeugt. Mit humorvollen und absurden Posen sorge ich für einen selbstironischen und unterhaltsamen Stil, der moralisch abgesicherte Normen in Frage stellt.
Mittels Rollenspiel und virtueller Bühnenkonstruktion möchte ich die kulturelle Collage aus symbolischer Verhaltenssteuerung, weichgespülter Geschichtsdarstellung und konsumistischer Stimulation sichtbar machen, die der globalen Konsumgesellschaft zugrunde liegt – um damit Bilder herauszuarbeiten, die einem Postkonsumismus zugehören könnten.
Dafür spüre ich meinem Unterbewussten nach und lasse es arbeiten. In meinen Arbeiten gibt es durchaus das Paradoxe, das Konfliktbeladene – wie in einem Schauspiel oder einer Selbsthypnose-Therapie. Ernsthafte Fragestellungen wie etwa die Subkultur oder der Postkolonialismus gehören nicht zu den Hauptanliegen dieser Performance. An ihre Stelle sind Verantwortungslosigkeit und Flüchtigkeit getreten. Vorausgesetzt, sie kennen die Emotionen, die zu ihren Rollen passen, können Teilnehmer zu einer surrealen Klimax jenseits der aktuellen Wirklichkeit gelangen. Mein Wunsch ist es, Menschheitsgeschichtliches zum Ausdruck zu bringen. Diese Art Performance ist prinzipiell nichts anderes als eine weitere Form von Montage.
Han Nataly Jung-Hwa
In allen Werken von Chen Ching-Yao spielt der Einfluss fremder Kulturen auf Taiwan eine wesentliche Rolle. Die massenmediale Verbreitung der US-amerikanischen Populärkultur seit der Mitte des 20.Jahrhunderts wird heute mehr und mehr durch Einflüsse aus Taiwans Nachbarländern Japan und Südkorea modifiziert, ergänzt oder sogar ersetzt. Diese regionalen Verschiebungen kulturprägender Strömungen finden aber auch hier innerhalb globaler Trends statt; auch Taiwan ist heute, wie alle kapitalistischen Gesellschaften Ostasiens, vollständig von der konsumistischen Lebensnorm bestimmt, die jede Facette des Daseins zeichnet. Der Mainstream ihres visuellen Ausdrucks bietet reichhaltiges Material für die künstlerische Arbeit Chen Ching-Yaos. Er wurde 1976 geboren und gehört damit zur ersten Generation in Taiwan, der die Möglichkeit gegeben wurde, die Freiheit der Liberalisierung nach 1987 zu genießen und gesellschaftliche Tabus nicht nur frontal zu attackieren, sondern vor allem auch spielerisch aufzulösen.
So stellt er etwa in digitalen Bildsynthesen, Collagen und zusammengesetzten Fotografien, in Rollenspielen oder auf virtuellen Bühnen die Unterströme der Gegenwartskultur dar. Das heterogene Ineinander von politisch manipuliertem Geschichtsbewusstsein und zugleich konsumistischer Stimulation, von Störsignalen der Subkultur und zugleich Erziehung zu politischer Indifferenz – es wird in einer Ästhetik verspielter Kombinatorik sichtbar gemacht, hinter deren Unernst eine komplizierte Aufgabe gesellschaftlicher Selbstverständigung durchscheint: die 50 Jahre lange Kolonisierung durch Japan.
Die Serie Bubble Commando 1 bis 3 aus dem Jahr 2000 nähert sich diesem Thema in »Cosplay-Manier1«, dem derzeit dominierenden Stilmittel Chens. Sie ist Vorläufer der Serien Blossoming in the Backyard [Blühendes im Hinterhof] aus dem Jahr 2004. Der Künstler entlieh dort Geschichten wie etwa Kinshirou Touyama und Momotar aus dem japanischen Historiendrama Genji Monogatari und spielte mit einer Gruppe von Freunden in Cosplay-Manier die Rollen nach. In Bubble Commando werden nun historische Gruppenfotos von Offizieren der kaiserlichen japanischen Armee nachgestellt und so durch den kindlich-spielerischen Stil des Cosplay parodiert. Der Künstler selbst stellt darin den kommandierenden Offizier dar, der sein »Seifenblasen-Kommando« durch die Stadt führt.
Die in unserer Ausstellung präsentierte Arbeit »International Radio Exercise« (2012) spielt auf das geläufige ostasiatische Phänomen der »Radiogymnastik« an, in dem immer auch das Bemühen der Gesellschaften Japans, Koreas und Taiwans bemerkbar ist, neben dem Bewusstsein auch den Körpern hierarchisch autorisierte Verhaltensmuster einzuprägen. Bewegungsabläufe werden durch wiederkehrende Übungen in das Körpergedächtnis eingeschrieben, um die Integration in ein kollektives Unterbewusstsein zu erreichen, das nationalen Konformismus konstituiert.In seiner 2013-14 entstandenen Serie »Dear Great Leader Mr. Chen, We Love You« [Lieber, großer Führer, Herr Chen, Wir Lieben Dich] kehrt der Künstler zu seinem ersten Genre zurück, der Malerei. Aber auch hier setzt er die Cosplay-Methode ein, um das Feierlich-Ernsthafte der politischen Porträts von Staatsführern zu parodieren. Chen Ching-Yao wagt hier, Mao und Chiang Kai-Shek gleichzeitig zu sein. Die vexierende Nachahmung offiziöser Führerbildnisse in einem Selbstporträt des Künstlers scheint so wenig kritisierbar oder anklagbar wie eine kindliche Spielerei. Doch verdeutlicht die Szene dem Betrachter, wie ähnlich sich die beiden Autoritären waren – Mao, Sinnbild des chinesischen Staatssozialismus, und Chiang Kai-Shek, Ikone eines USA-freundlichen chinesischen Kapitalimus.2 In jedem dieser geliebten Führer wurden menschliche Möglichkeiten realisiert, die niemandem von uns fremd sein können. Der jüngste Künstler dieser Ausstellung macht die verborgene Komplexität der jüngeren Geschichte Ostasiens fühlbar.
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Das Wort »cosplay« ist ein zusammengesetztes Wort aus costume und play (frei übersetzt »Kostümspiel«). Es benennt ein in Japan kreiertes Verkleidungsspiel, das in den 1990er Jahren mit dem Manga- und Anime-Boom auch in die USA und nach Europa kam. Beim Cosplay stellt man einen Charakter – Manga, Anime, Computerspiel oder Film – durch Kostüm und Verhalten möglichst originalgetreu dar.
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Chen Ching-Yao bemerkte in einem persönlichen Gespräch, dass Taiwan die Auseinandersetzung mit der Kolonisierung weit weniger entschlossen als China und Südkorea gewagt habe. Da Taiwan nach 1945 von den Festlandchinesen der Kuominga unter Chian Kai-Shek besetzt wurde die vorausgehende Kolonierung durch Japan sogar manchmal verklärt. Man sagt tatsächlich bis in Taiwan: erst gingen die Hunde (=Japan), dann kamen die Schweine (=die Chinesen).