Tomiyama Taeko
Vom Anfang meines Lebens an herrschte Krieg. Ich wurde 1921 in Kōbe geboren und verbrachte den Großteil der 1930er Jahre in der ehemaligen Mandschurei. Zu der Zeit weitete sich der Chinesisch-Japanische Krieg auf ganz China aus. Als ich 1937 die Mädchenschule in Harbin verließ, kehrte ich nach Tokio zurück, um an der Frauenakademie der Bildenden Künste ein Kunststudium anzufangen.
Der Krieg verschärfte sich. Besorgt und verängstigt zogen die jungen männlichen Kunststudenten zur Front. Wir waren die Kriegsgeneration – jene Jahrgänge, in denen die höchsten Zahlen an jungen Gefallenen zu beklagen waren. 1945 ging der fünfzehnjährige Krieg endgültig verloren. Mit 25 war ich ein Flüchtling, umgeben von Ruinen. An erster Stelle stand der Kampf um das schiere Überleben.
In den 1950er Jahren fing ich an, als Künstlerin zu leben, indem ich Bilder von den Kupferminen und den Kohlezechen malte. Zehn Jahre später hatte sich die Energieproduktion von Kohle auf Öl verlagert, die Kohleindustrie war im Niedergang begriffen und viele Bergleute wanderten auf der Suche nach Arbeit nach Südamerika aus. Entlang Seerouten, die im sogenannten »Zeitalter der Entdeckungen« kartographiert worden waren, folgte ich ihnen über Südafrika nach Südamerika. Auf dieser Seereise fing ich an, über die Zusammenhänge zwischen der westlichen Welt und dem Kolonialismus nachzudenken, und reiste daraufhin aus dem Westen in den Osten sowie auch nach West- und Mittelasien.
Im Herbst 1970, just zu dem Zeitpunkt, wo die Weltausstellung Expo `70 in Ōsaka – die »große Feier« der Ära rapiden industriellen Wachstums im Nachkriegsjapan – eröffnet wurde, fasste ich den Entschluss, nach Seoul zu reisen. Ich erinnerte mich an Dinge, die ich gesehen hatte, als ich noch zu Kriegszeiten zwischen Harbin und Tokio reiste. Damals beobachtete ich die Sonderpolizei, wie sie die ankommenden Fährpassagiere im Hafen Busan musterten und schrak entsetzt zurück, als sie mehrere junge Koreaner verhafteten.
Obwohl der Krieg in Asien und im Pazifik vor einem Vierteljahrhundert zu Ende gegangen war, lagen in Korea die tiefen Wunden, welche die Schrecken des Koreakriegs (1950-1953) geschlagen hatten, 1970 überall noch offen zutage. Der Koreakrieg müsste eigentlich als Fortsetzung der japanischen Kolonialherrschaft in der Form eines »Stellvertreterkriegs« zwischen den USA und der Sowjetunion bezeichnet werden. Er führte zur Trennung und zur Teilung in Nord und Süd. Heutzutage ist die Region trotz des Niedergangs der Sowjetunion immer noch im Würgegriff des Kalten Krieges.
1970 wie auch vor 1945 war Korea ein Land, das die dunkle Nacht einer repressiven Militärherrschaft durchlebte. Angeregt von der Lyrik von Kim Chi Ha, fing ich ebenfalls an, eine Kunst zu schaffen, die von dieser dunklen Nacht zu erzählen vermochte. Schwarz-Weiß-Lithographien konnten die Verhältnisse kraftvoller zum Ausdruck bringen als Ölfarben. 1974 forderte die Militärdiktatur die Todesstrafe für Kim Chi Ha und einige Studentenführer. Ein junger TV-Regisseur in Japan drehte den Dokumentarfilm »Ein Christ in der Finsternis – der Lyriker Kim Chi Ha«. Vor dem Hintergrund meiner Lithographien sprachen ein Pastor vom National Christian Council Japans und ich über Kim – die Sendung fiel aber, kurz bevor sie ausgestrahlt werden sollte, der Zensur zum Opfer. Daraufhin hat der junge TV-Regisseur, der nicht aufgeben wollte, das Projekt als Dia-Schau neu gestaltet, womit das Blatt sich wendete: Die Schau wurde an die New Yorker Riverside Church geschickt. Sie wurde also samt meinen Lithographien erstmals in New York gezeigt und ging anschließend nach Chicago und Berkeley weiter.
In Südkorea wurde die Demokratie-Bewegung allmählich stärker. Es kam der 18. Mai 1980. Nach Ausrufung des Kriegsrechts schossen Truppen auf Studenten der Chonnam National University, die in Gwangju demonstrierten. Zu den Studenten gesellten sich Bürger wie auch Bus- und Taxifahrer. Sie warfen die Truppen hinaus und riefen ein »Freies Gwangju« aus. Nur weinige Tage später wurde aber das Volk bei einem massiven Angriff der Regierungstruppen in die Knie gezwungen. Der Mai 1980 in Gwangju erinnert an »Mai 1870, die Pariser Kommune«. Als Antwort produzierten wir Prayer in Memory: Gwangju, May, 1980 [Gedächtnisgebet: Gwangju, Mai 1980] mit Originalmusik von Takahashi Yuji.
Die 1980er Jahre waren eine Zeit, in der ein vom Reichtum des schnellen industriellen Wachstums berauschtes Japan seine Augen vor der Kriegsvergangenheit geschlossen hielt. Die japanischen Unternehmen preschten in asiatische Länder vor, die einst Schlachtfelder gewesen waren. Ich erschrak, als man fragte, ob junge asiatische Frauen als »Trostfrauen für japanische Geschäftsmänner« zum Einsatz kämen. »Japayuki« (junge Frauen »unterwegs nach Japan«) trafen aus Asien ein, um im »kaishun« Viertel in Kabuki-cho, Tokio, zu arbeiten – der japanische Terminus bedeutet etwa »den Frühling – oder Sex – kaufen« und unterstrich die Rolle der männlichen Freier in der Prostitution wie im Menschenhandel. Ich schuf zum Thema die Multimedia-Dia-Arbeit The Thai Girl Who Never Came Home [Das Thai-Mädchen, das nie nach Hause kam]. Dies war die Zeit des Zofuku zaishin. Gods of Happiness, Business, oder: »Jetzt wollen wir reich werden!«
Am Anfang der 1990er Jahre, am Vorabend der 50. Jahresfeier des Kriegsendes, kam ich auf dem Bahnhof von Harbin an, in dem Ort, wo mein Künstlerleben angefangen hatte. Durch diesen Bahnhof hindurch war so viel Geschichte gegangen: der Russisch-Japanische Krieg, die Russische Revolution, der koreanische Unabhängigkeitsaktivist Ahn Jung-geun (der dort den japanischen Generalgouverneur umbrachte), die »Marionetten«- Regierung Mandschukuo, der Zweite Chinesisch-Japanische Krieg, der Vorabend der Chinesischen Revolution, die Volksrepublik China ... Ich fragte mich, was für eine Bedeutung die japanischen Kriege wohl für Asien hätten? Auf dem Bahnhof von Harbin war es, als ob die verschiedenen Modernisierungsprozesse Asiens sich vor meinen Augen wie ein Epos entfalten würden. Ich brauchte drei Jahre, um die Multimedia-Dia-Arbeit Harbin: Requiem for the Twentieth Century [Harbin: Requiem für das 20. Jahrhundert] zu vollenden. Anfang der 1990er Jahre waren Dias allerdings bereits ein Medium der Vergangenheit und den Zelluloid-Film gab es nicht mehr – die Epoche der Videos trat jetzt an. Es deprimierte mich, und ich fing sogar an, zu glauben, mein Künstlerleben sei zu Ende.
Dann kam das 21. Jahrhundert und mit ihm – 9/11 in New York. Unter Verwendung von Collagen und Ölgemälden zusammen mit Musik von Takahashi Yuji gaben wir das Buch mit Begleit-DVD Hiruko and the Puppeteers: A Tale of Sea Wanderers (2009) [Hiruko und die Puppenspieler: Eine Geschichte von Seewanderern] heraus. Das Buch verkaufte sich nicht gut. Dank Ilse Lenz und Laura Hein wurden meine Werke aber an der Ruhr-Universität, Bochum sowie an der Northwestern University gezeigt. Jetzt gibt es eine dauerhafte Website, auf der mein Oeuvre von überall auf der Welt aus betrachtet werden kann. (http://imaginationwithoutborders.northwestern.edu/index.html).
Am 11. März 2011 kam es zum Großen Erdbeben in Ostjapan – das Ereignis war quasi ein Doppelschlag mit der Wucht vom Großen Kantō-Erdbeben 1923 und von Tschernobyl zusammen. Die Welt erschrak, alle Augen blickten gebannt nach Japan. In meinem Tokioter Zuhause verschlugen mir Bilder in den TV-Nachrichten schier den Atem. Die Kraft des Bebens mit Stärke 9.0 war unvorstellbar gewaltig. Die Erde bebte, Meeresströmungen änderten die Richtung und verschluckten das Land. Der Tsunami verheerte 600 Kilometer Küste und hinterließ ein Trümmermeer. War dies das Ende der modernen Zivilisation?
Das Ereignis wurde zum Thema von Revelation from the Sea [Offernbarung aus dem Meer], an dem Werk arbeitete ich dreieinhalb Jahre. Es besteht aus Gemälden, Collagen und einer DVD. Vollendet wurde die Serie über den 3.11 dank der Original-Musikkomposition von Takahashi Yuji, der seit 38 Jahren mit mir bei der Schaffung von Gemälden und Musik mit Dias, Videos und mittlerweile mit DVDs zusammenarbeitet.
» ... Und zuletzt, des Lichts begierig, / Bist du Schmetterling verbrannt. / Und so lang du das nicht hast, / Dieses: Stirb und Werde! / Bist du nur ein trüber Gast / Auf der dunklen Erde.«
Jedesmal wenn ich an einer schwierigen Weggabelung des Lebens stehe, kommt mir dieses Gedicht von Goethe in den Sinn.
Übersetzt aus dem Englischen von Richard Humphrey
Rebecca Jennison
Die 50 Werke von Tomiyama Taeko, die hier unter dem Titel Von der Geschichte zum Schweigen gebracht – Revisited - Aus dem Leben einer Künstlerin gezeigt werden, umfassen Mixed-Media-Collagen auf Papier, Lithographien und Siebdrucke sowie Digitaldrucke von Gemälden. Die mittlerweile 94-jährige Künstlerin erkundet bereits seit Längerem die noch präsenten Auswirkungen der japanischen Kolonial- und Kriegshandlungen auf das heutige Ostasien. Im größeren Zusammenhang der jetzigen Ausstellung lassen sich Tomiyamas künstlerische Strategien und Themen als Antwort auf die im heutigen Japan noch wirksamen Formen der direkten und indirekten Zensur auffassen. Gezeigt werden die Werke in vier Werkgruppen oder »Akten« – in drei Fällen mit begleitender DVD- bzw. Dia-Schau – wobei jeder Akt um ein Thema herum organisiert ist, das die Künstlerin speziell für diese Ausstellung bestimmt hat.
Am Eingang zur Teilausstellung ist Tomiyamas jüngstes Werk zu sehen, das sie zu einem Zeitpunkt geschaffen hat, als sie meinte, ihre Zeit als aktive Künstlerin sei bereits zu Ende. Wie so oft in der Vergangenheit richtete die Künstlerin ihre Aufmerksamkeit auf eine sich aktuell zuspitzende Krise, diesmal auf die »dreifachen« Natur- bzw. von Menschen geschaffenen Katastrophen des Erdbebens, des Tsunamis und der Kernschmelze vom 11. März 2011 und – fing zu malen an. Es dauerte kurze dreieinhalb Jahre, bis die neue Serie Offenbarung aus dem Meer (2014) vollendet war. Im »Akt 1« der Teilausstellung werden erstmals außerhalb Japans Digitaldrucke dieser Gemälde sowie eine Auswahl von Mixed-Media-Collagen gezeigt.
Das Bild Offenbarung aus dem Meer – 11. März und Tsunami ist das erste von fünf großformatigen Ölgemälden aus der Serie. Hier hat man es mit einer finsteren, zürnenden See zu tun, die aus der Ferne buddhistische Schutzgötter heranspült, um »traurigen Gemüts« die Menschen zu ermahnen und zu tadeln, die sich törichterweise imstande gewähnt haben, die Naturmächte zu bändigen. In Fukushima: Frühling des Caesium 137 sowie in Japan: Atomkraftwerk sieht man neben Kirschblüten Spuren von Caesium 137 in den Lüften schweben und das Gerippe der Daiichi-Anlage in Fukushima aus dem Staub herausragen.
Als Tomiyama von den Mutationen und hohen Sterberaten unter den Schmetterlingen in der Region Fukushima erfuhr, fing sie an, auf schwarzem Marmorpapier Collagen zu machen, und berief sich in ihrem Werk An den toten Schmetterling – Fukushima, das zum Epilog werden sollte, auf das bekannte Gedicht Goethes. Die in der hiesigen Galerie gezeigte DVD/Dia-Schau der Serie mit Originalmusik von Takahashi Yuji wurde im September 2014 in Tokio uraufgeführt. Für diesen Anlass schuf Tomiyama eine aktuelle, zeitgemäße Fassung von Goethes Der Zauberlehrling. Die laufende Berichterstattung über prekär positionierte Tanks voll radioaktiv verseuchten Wassers in der Nähe von Fukushima Daiichi veranlasste sie dazu, eine lebensgroße, mit Eimer und Wischmopp ausgestattete Marionette zu kreieren, die durch die entmutigende Reinigungsaufgabe sichtlich verstört ist.
Wenn sie sich zu dem Werk äußert, so verweist Tomiyama auf das »unentwegte Trachten nach Reichtum und Komfort« sowie auf die unverantwortliche Technikseligkeit der Nachkriegsära, wo die Führungspersönlichkeiten »ohne jedwede Reflexion über die Vergangenheit« nach Profit strebten. Die Unfähigkeit, aus den Katastrophen die erforderlichen Lehren zu ziehen, vergleicht sie mit der Unfähigkeit, die Lektionen des Krieges zu beachten, und gibt zu bedenken, wie ungemein schwierig es für Künstler ist, diesen wichtigen Fragestellungen in ihrem Oeuvre nachzugehen. Sie schreibt: »Ein dichter Nebel an Tabus legt sich über Kunstwerke, die sich mit dem Gedenken an den Weltkrieg auseinandersetzen. Im 21. Jahrhundert, wo die ›Geister von Yasukuni‹, welche die Geschichte des Krieges nach wie vor nicht wahr haben wollen, wieder im Anmarsch sind, ist es nur noch schlimmer.«
In ihrem für diesen Band verfassten Essay reflektiert Tomiyama ihren persönlichen künstlerischen und geistigen Werdegang, wobei sie die Orte und Ereignisse hervorhebt, die sie dazu inspiriert hätten, Alternativen zur offiziellen Geschichtsschreibung in der Form einer »künstlerischen Narrativität« zu kreieren. In ihrem Neukartographieren der Geschichte Ostasiens nehmen Korea und die Mandschurei eine zentrale Stellung ein. Japan – so Laura Hein – »steht mit seinen postkolonialen Dilemmata keineswegs alleine da«. Sie führt aus: »Es gäbe kein modernes England ohne Indien, kein Frankreich ohne den Senegal, kein Japan ohne Korea und Manchuko« – und fügt hinzu: »Tomiyama ist der Ansicht, dass Japan für die Nachkriegsrepressionen in seiner ehemaligen Kolonie Verantwortung trägt«.1
Der Zweite Akt umfasst Lithographien und Digitaldrucke aus Gebete des Andenkens – Gwangju, Mai 1980, der Antwort der Künstlerin auf die brutale Unterdrückung des Volksaufstandes in Gwangju während der dunklen Nacht der südkoreanischen Militärdiktatur. Die kühnen Striche und die Gestik dieser Werke sprechen beredt von der Einwilligung dreier Regierungen in die Militärdiktatur sowie von dem Leid der Bevölkerung Gwangjus.Im Zentrum des Dritten Akts »Das Leiden des Krieges und der Nachkriegszeit« stehen 15 neue, speziell für die jetzige Ausstellung geschaffene Mixed-Media-Collagen. Unter Verwendung von Techniken, die sie in früheren Serien entwickelt hat, dekonstruiert Tomiyama frühere Werke, indem sie ihnen entnommene Cut-outs einander gegenüberstellt, um neue Bilder mit neuer Signifikanz zu kreieren. Für Tomiyama stellt die Collage ein intuitives, »nicht-autoritäres« Medium dar, das es ihr erlaubt, »das Gestern neben das Heute« zu stellen, damit neue Zusammenhänge zwischen Vergangenheit und Gegenwart in den Blickwinkel gerückt werden.2 Die Bezugnahmen auf Memories of the Sea [Erinnerungen an das Meer] (1986) – das Werk befasst sich mit der vernachlässigten und verdrängten Geschichte der »militärischen Trostfrauen« – sowie auf The Fox Story [Die Fuchsgeschichte] (2000) und die für biologische Kriegsführung zuständige Einheit 731 erzählen nicht nur von einer kummer- und leidvollen Vergangenheit, sondern auch von Erfahrungen, die noch heute gelebt und bekämpft werden müssen. In der von schnellem Wirtschaftswachstum gekennzeichneten Nachkriegsepoche etwa wurden Migrantinnen von den Götzen der Happiness/Business oder von der Selbstbereicherungsmentalität dazu verlockt, in den Sex-Handel im Tokioter Kabuki-cho-Viertel einzusteigen.3 Nicht zuletzt integriert Tomiyama auch Bilder aus der Serie Hiruko and the Puppeteers: A Tale of Sea Wanderers [Hiruko und die Puppenspieler: Eine Geschichte von Meereswanderern] (2009), in denen skelettartige Vögel auf einem verseuchten Meeresboden stehen und vor einem Hintergrund an brennenden Türmen, die an 9/11 erinnern, auf Resten von Computertastaturen herumpicken.
Im Vierten Akt mit dem Titel »Former Manchuria and Korea: Harbin Station and the Karayuki« [»Die ehemalige Mandschurei und Korea: der Bahnhof von Harbin und die Karayyuki«] sieht man »Postkarten« von dem Bahnhof von Harbin, mit deren Hilfe sich die Geschichte von Ereignissen, die das 20. Jahrhundert geprägt haben, rekonstruieren lässt, sowie – gleich daneben – Serigraphien von den Karayuki, den Frauen aus ärmlichen, ländlichen Verhältnissen, die im ausklingenden 19. und im frühen 20. Jahrhundert ins Ausland gingen, um Arbeit als Prostituierte zu finden. Das Ende der Ausstellung markieren die wunderschönen Schwarzer Fluss-Drucke (Fisch, Pferd und Drache), die eine eigene, düstere Eleganz ausstrahlen.
Es ist sowohl an sich außerordentlich als auch außerordentlich passend, dass diese Werke am 70. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs sowie am 4. Jahrestag der dreifachen Katastrophe in Nordostjapan in Berlin ausgestellt werden. Tomiyama besuchte Deutschland erstmals 1967 auf dem Weg nach Syrien, dem Irak und Afghanistan. Als sie 1982 zurückkehrte, um ihre Werke zu Kim Chi Ha und Gwangju auszustellen, fand sie eine quicklebendige Gemeinde an Künstlern, Musikern und aktiven Feministinnen in Berlin vor. 1985, als sie wieder in Deutschland eintraf, um den Film Hajike Hosenka [Pop-Out Balsam Seed] zu zeigen, fiel ihr Besuch zeitlich mit der bekannten Rede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker zum 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs zusammen. An die Rede sowie an die leidenschaftlichen, bis tief in die Nacht hinein andauernden Debatten, die sie unter den in Deutschland lebenden Koreanern und Japanern auslöste, erinnert sich Tomiyama heute noch lebhaft. Ihren neuen Werken wünscht sie eine ähnliche, dialogbeflügelnde Resonanz.
Die Werke von Tomiyama Taeko sind quasi Postkarten aus der Vergangenheit, abgeschickt in der Absicht uns – die wir ja auch »trübe Gäste auf der dunklen Erde« sind – dessen gewahr werden zu lassen, woher wir kommen, und wo wir uns zur Zeit befinden. Gleichzeitig steht es wohl außer Frage, dass die Werke auch an die Zukunft gerichtete Briefe sind. Wenn wir Tomiyama Taekos Botschaft – »kein Krieg, keine Atomkraftwerke oder Waffen, keine Umweltzerstörung mehr und keine weitere Aufopferung des Lebens junger Frauen« – beherzigen, so wird es uns vielleicht gerade noch gelingen, uns eine bessere Zukunft auszudenken.
Übersetzt aus dem Englischen von Richard Humphrey
1
Tomiyama Taeko, “Nippon—Genpatsu”, Shukan Kinyobi, Sonderausgabe zum 3.11., 9. März, 2012, sowie das Statement der Künstlerin in: Revelation from the Sea (dvd, 2014).
2
Laura Hein, “Postcolonial Conscience: Making Moral Sense of Japan’s Modern World”, in: Imagination Without Borders: Feminist Artist Tomiyama Taeko and Social Responsibility (2009).
3
Siehe Hagiwara Hiroko, “Working on and off the Margins”, in: Imagination without Borders, und Kobayashi Hiromichi, “Slides and Collages”, Hiruko and the Puppeteers (2009).