Nakagaki Katsuhisa
Es gibt den Gedanken, aufzurüsten, um eine Invasion anderer Länder zu verhindern. Aber so ein Machtwettbewerb kann nur Unterdrückung oder Feindschaft der anderen Seite ernten. Japan hat zwar Kriegsverzicht in der Verfassung festgelegt, war Japan aber jemals aufrichtig bestrebt, den Gedanken des Kriegsverzichtes aufgrund der humanistischen Idee zu vertiefen und das Leben anderer für genauso wichtig zu erachten wie das eigene? Die Lage um Japan soll sich verändert haben. Wir selbst haben uns aber nach dem Weltkrieg ausschließlich um die Entwicklung der Volkswirtschaft bemüht und haben es versäumt, uns um eine friedliche Welt zu bemühen. Nicht nur das; durch unseren Wirtschaftskrieg gibt es viele Verlierer. Japan soll aufhören, durch Aufrüstung mit anderen in Konfrontation zu gehen. Als ein Land, das durch Krieg andere Länder und sich selbst zerstört hat, soll Japan ein Land werden, das entschieden die Idee vertritt, dass Krieg ein Fehler ist.
Entfernt durch das Tokyo Metropolitan Kunstmuseum
Was die Nachbarländer von Japan wünschen.
Japan sollArai Hiroyuki
Will man den aktuellen Zustand der japanischen Demokratie und der japanischen Kunstszene kennenlernen, so genügt ein Blick auf das Kunstwerk von Nakagaki Katsuhisa: »Porträt der Epoche – Vom Aussterben bedrohte Spezies Idiot JAPONICA – Hügelgrab«. Gezeigt wurde das Werk im Februar 2014 auf der 7. Ausstellung Zeitgenössischer Japanischer Bildhauer im Tokio Metropolitan Art Museum. Das Werk hat eine hemisphärische Form und trägt an seiner Oberfläche eine Collage aus Statements und Pressemitteilungen. Komuro Akiko, eine ehemalige stellvertretende Leiterin des Museums, zwang Nagakaki aber, eines von diesen Statements zu entfernen. Der Inhalt des Statements lautete:
»Wir sollten Artikel 9 der japanischen Verfassung respektieren!«1 »Dummheit eines Besuchs des Yasukuni-Schreins einräumen!«2 »Rechtsruck der Regierung Abe stoppen!«, »Wir brauchen eine intellektuellere, reflektiertere Politik ...«
Artikel 9 ist in Japan als der Paragraph der Friedensverfassung bekannt, der den Krieg als Mittel zur Beilegung internationaler Konflikte ächtet.
Zunächst hat Frau Komuro Nakagaki gebeten, sein Werk ganz und gar aus dem Ausstellungsraum zu entfernen, später schlug sie vor, dass er sämtliche an die Oberfläche geklebten Statements und Zeitungsausschnitte entfernt. Er wollte ihrem Wunsch aber partout nicht Folge leisten. Bereit war er nur, ihr einen Filzmarker zu geben – sie solle die Stellen überpinseln, damit die Besucher sie nicht sehen könnten. Nach einer Auseinandersetzung kam es zwischen Museum und Künstler zu einem Kompromiss: Er dürfe zwar sein Werk zeigen, müsse aber das eine Statement (s. oben) entfernen. Sollte eine einzige Beschwerde laut werden, so müsse das Werk aus den Ausstellungsräumen entfernt werden.
Veranstaltet wurde die Ausstellung von dem Verein Zeitgenössischer Japanischer Künstler, der auch für die Miete der Museumsräume aufkam. Die Ausstellung wurde nicht vom Museum kuratiert. Die Richtlinien des Museums, die das Zensieren von Nakagakis Werk auslösten, verbieten das Vermieten von Museumsräumlichkeiten an solche Projekte, die sich zum Ziel setzen, konkrete politische oder religiöse Handlungen zu unterstützen oder anzugreifen. Frau Komuro verharrte einfach wiederholt auf dem Standpunkt, dass die Kritik Nakagakis an der Regierung Abe und am Yasukuni-Schrein dieser Richtlinie widersprach.
Schauen wir uns Nakagakis Plastik jetzt etwas genauer an, um zu einem besseren Verständnis des Falls zu kommen. In all seinen Werken benutzt der Künstler bewusst religiöse und historische Motive, um – bei gleichzeitiger Bezugnahme auf aktuelle Fragestellungen – auf das feudalistische Wesen der japanischen Gesellschaft aufmerksam zu machen. Motiv des Werks »Tokai Fudaraku Boat in Japan, the Age of Decadence« ist die radikal-buddhistische Praxis des »Selbstmords«, um in das Nirvana zu gelangen. In Japan häufen sich die Selbstmordfälle als Auswirkung der tiefen ökonomischen Ungleichheiten im Lande. In der depressiven Stimmung des Selbstmörders entdeckte Nakagaki aber eine antinomische Begeisterung für die Utopie (Nachwelt), die es darzustellen galt.
»Restored Onbashira – Requiem for Departed of the Great Japan Earthquake« bezieht sich auf das Auferstehungsgebet eines phallischen Kults in Japan.
Blickte man Ende des Zweiten Weltkriegs auf die japanische Geschichte der Neuzeit, so ließen sich als Folgen der »Modernisierung« des Landes nur Ruinen wahrnehmen. Den Bürgern war es nicht gelungen, eine Demokratie zu entwickeln, die imstande gewesen wäre, der hegemonistischen Politik der Kolonialisierung und der Kriegsführung Einhalt zu gebieten. Aus diesem Grund interessiert sich Nakagaki für die dissidente Energie der Menschen in vormodernen Epochen. In der Vergangenheit konnte diese Energie mitunter eine religiöse Sekte wie Omoto verwandeln – sie wurde in den 1920er und 1930er Jahren aufgrund der anti-Tenno-Tendenz [d.h. anti-Kaiser-Tendenz] ihrer Theologie offiziell unterdrückt.
Das Werk »Porträt der Epoche«, das die Form eines Kohun (eines antiken Grabmals) hat, besteht aus ähnlich dissidenten Elementen. Das Kohun ist wohl eine Anspielung auf lokale Bräuche im Altertum sowie auf das Tenno-System, das auf eine lange Geschichte zurückblickt. Oben ist die Flagge der aufgehenden Sonne, unten die US-amerikanische »Stars and Stripes« angebracht. Die Struktur steht symbolisch dafür, dass Japan ein Marionetten-Staat unter US-Herrschaft im Namen der Allianz-Mächte ist. Die Oberfläche des Kohun kommt wie eine mit einer gewissen Absicht grob zusammengestellte Bricolage aus Statements und Presse-Auszügen daher. Dieses primitive Aussehen, zu dem auch ein Simenawa (eine rituelle Utensilie des Shinto-Kults) beiträgt, spielt auf die rebellischen Intentionen des Volkes sowie auch auf seine Macht gegenüber den politischen Machthabern an. Man erinnere sich aber: In den Richtlinien des Museums steht, dass religiöse Aktivitäten ebenfalls untersagt sind.
Im Tokio Metropolitan Art Museum sind auch andere Künstler der Zensur zum Opfer gefallen. Auf der 18. Internationalen Kunstausstellung JAALA wurden zwei Kunstwerke, welche die »Trostfrauen und -mädchen« zum Thema hatten, ebenfalls mit Verweis auf die Richtlinien verboten. Zielscheiben der Kritik waren »A figure of a girl for peace« [»Mädchenfigur für den Frieden«] von Kim Seo-kyung und Kim Eun-Sung sowie Park Yon-bins »Comfort Women!« [»Trostfrauen!«]. Das Museum entschied sich für das Verbot der Kunstwerke, weil es erkennen konnte, dass die japanische Regierung die historischen Tatsachen der »Trostfrauen« zum Teil nicht akzeptierte, obwohl diese Fakten längst ohne Wenn und Aber international unangefochten waren, so dass der Gegenstand im »politischen« Sinne höchst kontrovers war. Darüber hinaus wurde 2013 ein weiteres Werk eines japanischen Malers zum Thema »Trostfrauen« vom Museum zensiert. Ein Kommentar des Künstlers an der Oberfläche des Werks wurde getilgt, damit die Botschaft vage blieb.
Auf der einen Seite wurde über den Fall Nakagaki in den Nachrichtenmedien berichtet, auf der anderen Seite aber schwiegen sich die Kunstkritiker aus. Dass sie nicht auf den Vorfall reagierten, ist auf zwei Gründe zurückzuführen.
Als erster Grund wäre zu nennen, dass die Kunstkritiker ohnehin bei der Wahl der zu behandelnden Künstler und Themen äußerst wählerisch sind. In Japan gibt es mehrere segmentierte Kunstgruppen. Wenn Kritiker es wagen, die Rechte einiger Künstler zu verteidigen, so nur deshalb, weil sie sich für die Künstler bereits stark gemacht haben und bestrebt sind, das eigene Interesse zu verteidigen. Nur wenige von ihnen sind der Ansicht, dass die japanische Verfassung jedem das Recht auf freie Meinungsäußerung garantieren soll.
Der zweite Grund ist, dass die Kritiker es wann immer möglich bewusst vermeiden, politische Themen zu behandeln. Nur dann, wenn kein Weg daran vorbei führt, wagen sie sich an solche Themen – aber auch dann nur indirekt, innerhalb einer etablierten Ästhetik, ohne die soziale Realität zu tangieren.
Außerhalb Japans begegnet man in Kunstschauen – etwa auf der Art Basel oder auf verschiedenen Internationalen Biennales – häufig den verschiedensten Arten von politischen Kunstwerken. Die fehlende Reife Japans sowie das Fehlen der freien Meinungsäußerung und der freien Kritik haben zur Folge, dass Japan keine tragende Rolle bei Ausstellungen, die mit aktueller internationaler Kunst zu tun haben, spielen darf.
Was die Bedeutung von »Öffentlichkeit« in Japan anbelangt, so ist die Museumsrichtlinie repräsentativ für zwei landesspezifische Merkmale. Zum einen wird der Homogenität im öffentlichen Raum mehr Bedeutung beigemessen. Zum anderen ist der Zugriff auf den öffentlichen Raum eng verknüpft mit politischer Autorität und der Einstellung diverser Behörden. Vor kurzem etwa haben viele Kommunalbehörden Kunstwerke, Vorträge oder Veranstaltungen, die sich mit der Kontroverse um Artikel 9 beschäftigen wollten, ausfallen lassen oder von vornherein verboten.
Dass es zu den oben genannten Fällen gekommen ist, liegt an der fehlenden Heterogenität der japanischen Öffentlichkeit. Wir Bürger Japans müssten uns mit der Heterogenität im Sinne der »autonomen Öffentlichkeit« bei Jürgen Habermas oder im Sinne der »Counterpublics« [Gegenöffentlichkeiten] bei Nancy Fraser beschäftigen und anfreunden.
Der Verein im Sinne der von Habermas befürworteten NPO [Non-Profit Organisation] spielt eine gemeinschaftsbildende Rolle, er bündelt sozialintegrativ die Kräfte der Bürgerschaft und koordiniert systemintegrativ Bürger und Regierung. Dieses Modell einer ambivalenten NPO hat sich im Laufe der letzten 20 Jahre in Japan herausgebildet. Tendenziell aber verlor sie an Autonomie und liierte sich mit den Behörden. Heute beflügelt der von Premier Abe Shinzo und seinen Gefolgsleuten geführte ultrakonservative Rechtsruck eher antidemokratische Tendenzen. Die Zensur und Kontrolle von Nakagaki und die damit einhergehende Unterdrückung der Meinungsfreiheit erfolgten unter diesen soziopolitischen Bedingungen.
Das Sichern der – von Hannah Arendt geforderten – »Pluralität« in der japanischen Gesellschaft ist als Gegengewicht zu der an Nakagaki verübten Zensur unverzichtbar.
Übersetzt aus dem Englischen von Richard Humphrey
1
Artikel 9 der Verfassung ächtet den Krieg als Mittel zur Beilegung internationaler Konflikte und verbietet Japan die Unterhaltung einer Armee. [Anmerkung der Redaktion]
2
Der Yasukuni-Schrein in Tokio ist ein Shinto-Schrein, in dem seit 1868 zuerst den für den Tenno Gefallenen, später verschiedenen Gefallenen, auch anderer Nationen, gedacht wurde und bis heute wird. Als Symbol der kriegerischen Prinzipien der Meiji-Tradition und weil in ihm auch für Kriegsverbrechen Verurteilte geehrt werden, ist seine Bedeutung umstritten. Besuche von Premierministern in amtlicher Rolle werden unweigerlich zu einer Demonstration. Zuletzt hatte Premier Shinzo Abe im Dezember 2013 den Schrein besucht. [Anmerkung der Redaktion]